Samstag, 31. Oktober 2015

"Derailing" - Annäherung an einen Kampfbegriff


Süddeutschland, Berlin (dpl) - Kampfsport dient dem Training von Körper und Geist. Zu seinen erwünschten Nebeneffekten gehört die Vorbereitung des Sportlers für eine echte Verteidigungssituation. Zu den feststehenden Begriffen in der Szene gehört der Vorwurf „You attacked me the wrong way", will sagen, du hast mich in einer nicht regelkonformen Weise angegriffen und dabei womöglich ernsthafte Verletzungen in Kauf genommen.
Was in der abgeschlossenen Szenerie der Kampfsportschule durchaus vernünftig ist, wird zur Lachnummer, sobald der Ernstfall eintritt. Wer während einer Wirtshausschlägerei seinen Gegner ermahnt, der ihn mit einem Maßkrug angreift, er möge sich doch gefälligst an die Regeln halten, der ist ein seltener Idiot und sollte den Schauplatz besser möglichst rasch verlassen.
Man kann nicht alle Themen überbrücken
Der Begriff „Derailing" gehört bereits seit vielen Jahren zu den Standardphrasen radikaler Feministenorganisationen insbesondere in den USA, wenn es um die Abwehr von Argumenten ihrer Gegner geht. Damit soll aufgezeigt werden, daß die andere Seite in einer „nicht zulässigen Art" kontert und die bisweilen recht simplen Schwarz-Weiß-Bilder der einschlägigen Verbände „auf den Kopf stellt". Dabei dient die Verwendung des Derailing-Vorwurfes der Stigmatisierung eines Kontrahenten, der den vorgegebenen Kampfplatz angeblich verlassen und sich damit als Gedankenverbrecher geoutet hat.
„Derailing" bedeutet in deutscher Sprache „Entgleisung", was uns einen ersten deutlichen Hinweis auf das Diskussionsverständnis der Leute gibt, die ihn verwenden. In einer freien und offenen Diskussion sind unterschiedlichste Ergebnisse vorstellbar, insbesondere natürlich die Möglichkeit, daß die Auseinandersetzung zu überhaupt nichts konkretem führt. Wer dagegen eine „Entgleisung" anprangert, der vergleicht die Beschäftigung mit einem Thema mit einer Zugfahrt: Abfahrt um 7.30 Uhr am Bahngleis 8, Durchfahrt durch Fulda um 12.21 Uhr, Ankunft in Göttingen möglichst pünktlich um 13.46 Uhr. Das Ergebnis der Diskussion soll also vor Antritt der Reise feststehen und wer den ordentlichen Ablauf stört, in dem er etwa Göttingen als Reiseziel zur Disposition stellt, der macht sich des gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr schuldig. So aber diskutieren nicht Erwachsene, sondern Kinder und Sektenprediger.
Das Magazin „Spreeblick" aus Berlin hat vor nicht allzu langer Zeit in einem von interessierter Seite scheinbar aufmerksam beobachteten Beitrag sein Verhältnis zu dem definiert, was der Herausgeber als „Derailing" betrachtet: „Es geht beim Derailing in erster Linie darum, eine Debatte an sich zu reißen, ihr Thema zu ändern und dabei inhaltliche Oberhand zu gewinnen." Was für gemeine Schweine, denkt sich hier der interessierte Leser. Da wollen doch tatsächlich Leute in einer Diskussion „inhaltliche Oberhand" gewinnen!
Nach Ansicht der „Spreeblick"-Leute handelt es sich bei Kommentaren, die sie als „Derailing" verunglimpfen, um „Ablenkungsmanöver, die so lange durchgezogen werden, bis die ursprüngliche Debatte nicht mehr möglich ist." Was aber eine Debatte wert ist, deren Ergebnis vorher definiert ist, kann und sollte jeder selbst für sich entscheiden ...
Nochmal ganz simpel
Der Beitrag im „Spreeblick" ist ein Armutszeugnis für die Macher des Magazins. Es rückt seine Leser in die Nähe von dummen Schafen, die dem Angriff der klugen Wölfe (die sowohl einzeln als auch in Rudeln auftreten) schutzlos ausgeliefert sind. Und deswegen hat man sich auch dazu entschlossen, die unmündigen Leser zu beschützen und „Derailing"-Kommentare hinkünftig weiß einzufärben, d.h. sie in weißer Schrift auf weißem Grund wiederzugeben. Ein Besuch im Kindergarten.
Abschließend stellt sich die Frage, wie mit der angestrebten Stigmatisierung von „Derailern" und anderen Diskussionsbanditen umzugehen ist. Dabei gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder man spielt das Spiel der Argumentationsverweigerer mit und begibt sich damit in die fragwürdige Gesellschaft von Menschen, deren Regeln ein frecher Hohn auf den freien Geist sind. Oder aber man scheißt ganz gepflegt auf alle Ausgrenzungsversuche, lässt sich nicht verbiegen, sagt auch weiterhin seine Meinung, solidarisiert sich mit Betroffenen und überlässt es der Gegenseite, sich mit Zensurmaßnahmen bis auf die Knochen zu blamieren. Sie können dann natürlich schreien: „You attacked me the wrong way". Und damit werden sie sich noch unmöglicher machen, als sie es jetzt bereits sind.
Und als Satiriker neige ich dazu, den Dummköpfen einfach frech ins Gesicht zu lachen.

Text: El Blindo, Träger des schwarzen Gürtels im Derailing

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